von Volker Schilling
Welche Themen waren diese Woche am Finanzmarkt relevant?
- Über Steuern
- Übersteuern
- Übersteuert
Über Steuern
Über Steuern kann der Staat seine Ausgaben finanzieren und über Steuern kann man sich auch vortrefflich streiten. Beides durften wir diese Woche erleben. Die Diskussion über die Übergewinnsteuer ist eröffnet. Über was reden wir hier eigentlich? Über Gewinne oder Übergewinne? Ich dachte, wenn Unternehmen mehr Gewinne als üblich machen, dann zahlen sie doch auch automatisch mehr Steuern, oder? Also kommt es zu Sondereffekten in bestimmten Branchen und es fällt dadurch mehr Gewinn an, dann fallen doch darauf absolut betrachtet auch mehr Steuern an. Problem gelöst: Wir besteuern die Mehrgewinne also schon. Nein, nein, so einfach sehen das Teile der SPD und Grüne nicht. Man muss den Krisengewinnern mit einer zusätzlichen Besteuerung beikommen. Na, da bin ich mal gespannt, denn folgerichtig müsste man dann den Krisenverlierern auch Steuererleichterungen zugestehen. Und was ist mit dem größten Profiteur von Preissteigerungen bei Energie und Nahrungsmitteln: Dem Staat? Allein die Übergewinne bei der Mehrwertsteuer werden in diesem Jahr auf 20 Milliarden taxiert. Kommt dann eine Übermehrwertgewinnsteuer? Klingt bescheuert nicht besteuert! Jetzt wird es mir zu kompliziert. Kommen wir zu etwas Einfacherem:
Übersteuern
Die europäische Notenbank EZB hat ein Trauma. Sie hat 2008 und 2011 bei Zinserhöhungen erlebt, dass sie ganz schnell zurückrudern musste, um die Risiken im europäischen Finanzsystem nicht zu übersteuern. Daher reagiert sie aktuell dermaßen zögerlich mit Zinsanpassungen, dass sie ihrer eigentlichen Aufgabe der Geldwertstabilität nicht mehr gerecht wird. Ich prangere dieses Zögern seit langer Zeit hier an. Und auch bei der Sitzung diese Woche in Amsterdam kommt nichts weiter als Verbalakrobatik. Man kündigt an, dass man im Juli anfangen wird mit 0,25% die Zinsen anzuheben. Was war noch mal die Aufgabe der EZB? Ach ja, Geldwertstabilität. Wo lag noch mal das Inflationsziel? Ach ja, bei 2%. Was hat man dafür bei der aktuellen Sitzung in Amsterdam getan? Ach ja, nix! Viele fahren ja nach Amsterdam, um dort ein Stück Gleichgültigkeit zu konsumieren, aber was sich die Notenbanker dort reingezogen haben, ist mir schleierhaft. Wir haben Inflationsraten bei 8% und die EZB kündigt ein vorsichtiges Zinsschrittchen an. Die Notenbanker haben das Steuer nicht mehr in der Hand, der Zins steuert inzwischen die Notenbanker. Und eben jener Zins steuert am Markt auf neue Höchststände zu. Das hat Konsequenzen:
Übersteuert
Zuerst werden es Immobilienbesitzer bemerken, die Anschlussfinanzierungen zu stemmen haben. Die Kreditzinsen bei Immobilien sind geradezu übersteuert angesprungen. Bisherige Raten werden sich verdoppeln und verdreifachen. Wenn sie überhaupt bewältigt werden können. Dann kommen die Versicherungsnehmer, die ihre ohnehin schon dürftigen Ablaufleistungen noch einmal korrigieren werden müssen, da die Verluste bei Zinspapieren teilweise größer sind, als die Kursverluste am Aktienmarkt. Das zögerliche Handeln der europäischen Notenbank erzeugt umso stärkeren Handlungsdruck am Kapitalmarkt, der sich gerade neu kalibriert. Und wie bei jeder Neuadjustierung von Parametern kommt es auch an den Zins- und Aktienmärkten zu Übersteuerungen, die Sparer wie Anleger vor eine Belastungsprobe stellen. Wie Anleger damit vielleicht besser umgehen können, habe ich diese Woche im Nachrichtensender n-tv im Interview erläutert. Damit steuern wir gemeinsam ins anstehende Wochenende. Zum Interview: Was Anleger jetzt beachten müssen: Inflation – gekommen um zu bleiben?
Ihr Volker Schilling
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„Was Anleger jetzt beachten müssen…“Das Interview kann ich allen Floristen (bin Rechteinhaber, daher kein Symbol) sehr empfehlen. Zum Thema Steuern möchte ich noch einen draufsetzen. Es gibt ja jetzt f. Bundesanleihen tlws. positive Nominalzinsen. Die Realzinsen sind aber stark negativ , d.h. es findet keine Vermögensmehrung ,sondern eine enteignungsgleiche Vermögensminderung statt. Diese Vermögensminderung kann man keineswegs v. der Steuer absetzen. Im Gegenteil, man muß die Nominalzinsen beim Übersteigen v. Höchstbetragen versteuern…..
Genau: Der Realzins NACH Steuern ist noch tiefer im Minus als der Realzins VOR Steuern.
@ Peter,Raimund
Genau, durch die hohe Inflation bei gleichzeitig fallenden Aktienkursen werden Vermoegen der User gleich doppelt vernichtet.
20 Jahre mit 5% Inflation bei Halbierung der Aktienkurse … also aemm aeh, wieviel minus ist das jetzt real … minus …
Wie langweilig: 20 Jahre soll sich der DAX Zeit lassen für ne läppische Halbierung? Sowas kriegt der doch auch in wenigen Monaten hin. Und wenn uns dann auch noch das Killervirus heimsucht, dann gute Nacht.
Das Argument aus dem Interview, dass Growth-Werte, die ihre Gewinne erst in der Zukunft machen, wegen der steigenden Zinsen nun besonders stark diskontiert bzw. „abgezinst“ werden müssen, leuchtet mir nicht wirklich ein.
Derzeit gibt es 3% für 10jähirge US-Anleihen. Na und? Das gab es auch im Jahr 2018, und im Zeitraum vor 2012 gab es sogar dauerhaft mehr als 3%. Wurden deshalb denn in der Vergangenheit Growth-Werte stark „abgezinst“? Selbst wenn: Was sind schon 3%? Der Nasdaq Composite Index ist vom November-Hoch mehr als 30 % gefallen. Damit wäre er bereits fast für ein komplettes Jahrzehnt „abgezinst“, obwohl wir gar nicht wissen, ob sich die Zinsen lange bei 3% halten können. Und weil wir das nicht wissen können, kann man auch nicht sagen, dass zukünftige Gewinne „abgezinst“ werden müssten. Wenn wir davon ausgehen, dass die Unternehmen durch gestiegene Zinsen höhere Kapitalbeschaffungskosten haben, erschiene es allenfalls sinnvoll, die derzeitigen Gewinne und die erwarteten Gewinne in der NAHEN Zukunft ein wenig „abzuzinsen“. Über die ferne Zukunft wissen wir doch gar nichts. Dazu fallen mir dann außerdem noch Aussagen von Ken Fisher ein, der meinte, dass der Markt nicht länger als 30 Monate in die Zukunft schaut. Bei einer jährlichen „Abzinsungsrate“ von 3 % kämen wir ohne Zinseszins dann auf 7,5 % Discount, der eingepreist werden müsste. Wow! Selbst das müsste aber nicht unbedingt in kurzer Zeit eingepreist werden, da wir – wie gesagt – nicht mit Gewissheit davon ausgehen können, dass die Zinsen so lange hoch bleiben (natürlich kann man auch glauben, dass sie noch deutlich weitersteigen, aber das wäre eben auch nur Spekulation). Die Aktienkurse von Unternehmen mit deutlich zweistelligen jährlichen Wachstumsraten sollte das jedenfalls nicht in den Keller treiben dürfen.
Dass die Anleihen bei gestiegenen Zinsen eine Konkurrenz für Aktien darstellten, kann derzeit auch kein echtes „Abzinsungsargument“ sein. Denn bezogen auf den Realzins sind sie keine Konkurrenz – es ist sogar das Gegenteil der Fall. Außerdem sind die Anleihezinsen ja nur deshalb so hoch, weil sie eben – wie zum Beweis – weniger nachgefragt werden, d. h. sie sind eben keine Konkurrenz für Aktien.
Die Inflation kann ebenfalls kein „Abzinsungsargument“ für Aktien sein, egal ob Value oder Growth. Denn mit ihr steigen langfristig die Gewinne und Aktienkurse in gleichem Maße. Da muss nichts „abgezinst“ werden.
Dieses „Abzinsungsargument“ erscheint mir weitgehend als eine Art „Börsenfolklore“, die nun rückblickend erklären soll, warum Growth-Werte zuletzt so stark gefallen sind. Dabei ist die Wahrheit doch viel einfacher: Sie sind besonders stark gefallen, weil sie vorher übertrieben stark gestiegen sind.
Last but not least umfasst der Nasdaq Composite Index bei weitem nicht nur Unternehmen, deren Bewertung sich nur an erwarteten Gewinnen in der Zukunft orientieren kann. Das wurde ja auch im Interview deutlich gesagt. Hinzu kommt: Auch Value wird mit Erwartungen für zukünftige Gewinne gekauft. Genau genommen müssten also auch Value-Aktien ebenso „abgezinst“ werden.
Mir fällt noch ein Argument ein, das in eine ähnliche Richtung zielt:
Der erhöhte Abzinsungsfaktor erklärt sich derzeit hauptsächlich aus der höheren Inflation. Die Gewinnschätzungen, die abgezinst werden, sind aber noch die alten.
Soll heißen: Sofern Inflation und Zinsen tatsächlich über längere Zeit hoch bleiben, müssten – ceteris paribus – auch die Gewinnschätzungen steigen und somit einen Ausgleich bieten.
Na ja, wenn sich der Abzinsungsfaktor für Aktien durch die Inflation erklären soll, dann müsste man auch Cash abzinsen. Und kreditfinanzierte Käufe müssten attraktiver erscheinen.
attraktiver vielleicht, aber auch risikoreicher.
Na ja, vielleicht beschreibt das „Abzinsungsargument“ ja tatsächlich einen richtigen Sachverhalt – nur eben mit einem falschen Begriff. Der Markt schaut eben derzeit weniger weit in die Zukunft und interessiert sich weniger für die Gewinne, die vielleicht in einigen Jahren von jungen Nasdaq-Unternehmen gemacht werden. Das wirkt ähnlich, als würde man diese erhofften Gewinne „abzinsen“.
Manchmal sagt eine Grafik mehr als tausend Worte:
Kurz & knackig illustriert 😉
Danke für die eindrucksvolle Grafik!