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Aufschlag Bernecker!

20. Dezember 2021
Sebastian Kabis
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von Sebastian Kabis

von Raimund Brichta

Daniel Bernecker hat seine Zusage wahr gemacht und den ersten Aufschlag geliefert in einem neuen Schlagabtausch zur „Zinswende“. Ausgangspunkt war meine Feststellung, dass die US-Rendite derzeit in etwa so hoch liegt wie vor zwei Jahren, als Herr Bernecker schon einmal eine Zinswende nach oben angekündigt hatte.

Hier ist also der Aufschlag Bernecker:

Guten Tag Herr Brichta,

ich nehme an, Sie wissen selber, dass der oberflächliche Vergleich der Renditen heute mit denen vor 24 Monaten irreführend ist. Selbst als Momentaufnahme taugt es nicht für eine Analyse. Entscheidend ist der Kontext und der geht weit über den Corona-Effekt hinaus. In den letzten neun Monaten haben die Anleihemärkte zum ersten Mal seit 13 Jahren den dauerhaften Sinn und die Machbarkeit der QE-Programme nicht nur mit großem Nachdruck angezweifelt, sondern auch verurteilt. Das galt vor zwei Jahren ebenso undenkbar wie Inflationsraten von 5-6 %. Die steigenden Inflationszahlen sind nach 22 Jahren Deflation eine scharfe Zensur. Dafür müssen die Inflationszahlen gar nicht mehr steigen. Selbst wenn sie zwischen 2-5 % pro Quartal schwanken, womit ich auch rechne, ist die gängige Einschätzung hinfällig. Selbst an der ursprünglichen Interpretation der Notenbanken, dass diese vorübergehend (transitory) seien, konnten die Notenbanken nicht festhalten. Im Ergebnis haben alle Notenbanken bis auf zwei (EZB und Bank of Japan) sowohl das unmittelbare Auslaufen ihrer QE-Programme angekündigt wie auch ihre geplanten Zinserhöhungen deutlich vorgezogen. Die Bank of England gab gestern den Startschuss. Die große Zinswende fand also in den Köpfen statt, auch wenn die Renditen das auf den ersten Blick nicht widerspiegeln. Die Bedeutung dessen ist nicht zu unterschätzen, weil damit ein 12-jähriges Programm, das alle Kapitalmarkttendenzen maßgeblich beeinflusste, beendet ist. Theoretisch steht dieses Werkzeug den Notenbanken weiter zur Verfügung, aber die Wirkung wird nie wieder die gleiche sein. Warum?

 

Die Notenbanken haben die fallenden Renditen seit 2009 mit ihrer Glaubwürdigkeit bezahlt. Das ist ein hoher, konkreter Preis. Weil sich die Außenwerte ihrer Währungen (Devisenkurse) in dieser Zeit relativ stabil hielten, während die Inflationsraten sanken, fiel das anfänglich nicht auf. So lange funktioniert QE trotz aller prinzipieller Kritik ziemlich reibungslos. Als Erstes fiel in den letzten Monaten die Prämisse der sinkenden Inflationsrate. Das zwang die Notenbanken zur o. g. Wende. Ich vermute, dass 2022 aber nicht die Inflationsraten den größten Druck auf die Märkte ausüben werden, sondern die hohe Volatilität der Währungen bzw. der einzelnen Auf- und Abwertungen. Wenn sich die Zinspolitik der Notenbanken neben der Inflation auch an dem Devisenkurs orientieren muss, dann unterliegt sie ganz anderen Zwängen als bisher. Ferner:

 

Dem Ende der QE-Programme wird mit einer Verzögerung von vielleicht 12 -18 Monaten eine deutliche Bremse in der Fiskalpolitik einhergehen. Damit wird die Modern Monetary Theory beendet, bevor sie richtig griff. Je nachdem wie hoch die Einschränkungen durch höhere Kapitalkosten ausfallen, fällt die Notwendigkeit der fiskalischen Bremskraft dann aus. Neben den Notenbanken unterliegt dann auch die Politik den altbekannten Einschränkungen.

 

Dass die Anleihemärkte in diesem Jahr ihren 12 Jahre währenden Konsens mit den Notenbanken aufgekündigt haben, ist fast schon vor historischer Bedeutung. Das Verhältnis zwischen dem Markt und den Notenbanken ist zwar nicht zerrüttet, aber definitiv gereizt. Es wird 2022 darum gehen, dass die Notenbanken dem Markt ihre Unabhängigkeit beweisen. Deswegen sind die aktuellen Renditen irreführend. Die strukturelle Zinswende in den Köpfen ist bereits deutlich ausgeprägter, als die konkreten Renditen widerspiegeln.

 

Die Ausnahme ist die EZB, die ihren Sonderweg weiter gehen will oder vielleicht auch muss. Die politischen Gründe und Einflüsse sind bekannt. Ich halte diesen Weg weiterhin für falsch und auch nicht für machbar, wenngleich der Wille, Ehrgeiz und auch die Macht der EZB und EU nicht zu unterschätzen sind. Auch eine falsche Politik kann erst mal weiterbetrieben werden, bis sie nicht mehr finanzierbar ist. Gegen einen Anleihemarkt aber zu agieren, ist etwas ganz anderes, als ihn auf seiner Seite zu haben. Der Krug geht eben so lange zum Brunnen, bis er bricht.

 

Das ist meine Zwischenbilanz. Ich freue mich auf ihre Antwort.

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Und hier mein Return:

Lieber Herr Bernecker,

zunächst herzlichen Dank dafür, dass Sie unsere Diskussion wieder aufnehmen, um die Lage im Lichte zweier weiterer Jahre zu bewerten, die inzwischen vergangen sind.

Sie schreiben, dass der oberflächliche Vergleich der Renditen heute mit denen vor 24 Monaten irreführend ist. In Sachen Oberflächlichkeit stimme ich Ihnen gerne zu. Allerdings halte ich es weder für oberflächlich, noch für irreführend, anhand der Zinshöhe festzustellen, ob eine vor 2 Jahren prognostizierte Zinswende nach oben in der Zwischenzeit eingetreten ist oder nicht. Woran sonst, wenn nicht an der Zinshöhe, wollen sie dies festmachen? Zumal Sie damals wie heute die Zinswende nicht erst in zwei Jahren prognostiziert, sondern als unmittelbar bevorstehend bzw. bereits im Gange bezeichnet hatten. 

Wenn wir die Oberfläche verlassen und tiefer eintauchen, wird es sogar noch deutlicher. Die damalige US-Rendite von 1,5% stand in Beziehung zu einer damaligen US-Inflationsrate von knapp 2%. Der heutigen, gleich hohen Rendite steht aber eine US-Inflation von über 6% gegenüber. Das heißt: Beim Realzins fand nicht nur keine Wende statt, sondern der Realzins ist seither sogar deutlich weiter abgerutscht. Selbst wenn der Nominalzins in nächster Zeit etwas steigen sollte, würde damit nur ein Teil dieses Realzinsrutsches wett gemacht. Soll heißen: In der Realzinsbetrachtung ist die Wende vom damaligen Niveau aus noch weiter entfernt als in der Nominalzinsbetrachtung.

Sie schreiben weiter, in den letzten neun Monaten hätten die Anleihemärkte zum ersten Mal seit 13 Jahren den dauerhaften Sinn und die Machbarkeit der QE-Programme nicht nur mit großem Nachdruck angezweifelt, sondern auch verurteilt. Woran messen Sie diese „Verurteilung“? An der Erholung der Rendite vom Corona-Tief, das bei 0,5% lag? Diese Erholung werte ich nicht als Verurteilung, sondern als ein normales Zurückschwingen des Pendels. Oder haben Sie dafür einen anderen Indikator? Wenn ja, welchen?

Wenn wir aufs kurze Zins-Ende schauen, führen Sie die – bisher nur avisierten – Leitzinserhöhungen der Fed an. Aber der Fed-Leitzins ist von 1,75% vor 24 Monaten inzwischen auf nahe 0% gefallen. Auch da gab es seither also – ähnlich wie beim Realzins – einen weiteren Zinsverfall. Selbst wenn diese Entwicklung im nächsten Jahr mit Leitzinsanhebungen etwas korrigiert werden sollte, könnte man das nicht als langfristige Zinswende bezeichnen, vor allem nicht vom damaligen Niveau aus.  Es wäre allenfalls eine kurzfristige Zinswende vom Nullniveau aus. 

Für eine richtig langfristige Zinswende bedarf es mehr: Dafür müsste der US-Leitzins über das letzte Spitzenniveau von knapp 2,5% steigen. Würde er dagegen unter 2,5% wieder nach unten drehen – zum Beispiel im Zuge einer nächsten Krise oder Rezession -, wäre damit der langfristige Zinsabwärtstrend nach wie vor intakt. Bei der Realzinsbetrachtung wäre eine Zinswende sogar in noch weiterer Ferne.

Dass einige Notenbanken inzwischen das Auslaufen ihrer QE-Programme angekündigt haben, ist ebenfalls kein überzeugendes Argument für eine Zinswende. Schließlich nehmen die Notenbanken damit nur den Fuß vom Gaspedal, was früher oder später ohnehin zu erwarten war. Schon deshalb, um in der nächsten Krise/Rezession wieder Gas geben zu können. 

Auf die geldpolitische Bremse treten die Notenbanken mit dem Auslaufen der Programme noch lange nicht. Dies würden sie erst tun, wenn sie ihre Bilanzsummen, die sie in den vergangenen Jahren aufgebläht haben, wieder schrumpfen ließen. Eine solche Geldvernichtung scheint nach meiner Analyse aber gar nicht möglich, zumindest nicht in größerem Umfang. Denn damit würden die Notenbanken eine deflatorische Krise auslösen. Janet Yellen und ihr Nachfolger Jerome Powell sind mit einem solchen Versuch erst 2018 krachend gescheitert. 

Sie schreiben weiter, die jüngsten Notenbank-Beschlüsse zeigten, dass die „große Zinswende“ in den Köpfen stattgefunden habe. In welchen Köpfen? In denen der Notenbänker? Wie kommen Sie darauf? Notenbanken haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder mal die Leitzinsen erhöht und QE-Programme auslaufen lassen, ohne dass in ihren Köpfen die große Zinswende stattgefunden hätte. Worauf stützen Sie konkret Ihre Annahme, dass es diesmal anders ist? Bloße Leitzinserhöhungen und auslaufende QE-Programme sind jedenfalls kein ausreichendes Indiz dafür. 

Sie schreiben weiter, die Notenbanken hätten die fallenden Renditen seit 2009 mit ihrer Glaubwürdigkeit bezahlt. Worauf stützen Sie diese These? Meinen Sie die Glaubwürdigkeit in Ihren persönlichen Augen? Das könnte sein, wäre aber für die weitere Entwicklung der Finanzmärkte weniger relevant. Oder meinen Sie die Glaubwürdigkeit in den Augen der internationalen Märkte? Falls ja, worauf gründen Sie diese Einschätzung? Müsste man einen solchen Verlust an Glaubwürdigkeit nicht daran erkennen können, dass die Märkte den Notenbanken das Vertrauen entziehen? Letzteres ist aber noch nicht erkennbar. Im Gegenteil: Noch führen Notenbank-Interventionen in der Regel zu den gewünschten Markreaktionen. Jüngstes Beispiel ist die Billionen-Geldflut seit der Corona-Krise mit der dadurch bewirkten Billionen-Rally an den Märkten. 

Ihre weiteren Ausführungen zum Jahr 2022 und der von Ihnen erwarteten hohen Volatilität der Währungen lasse ich unkommentiert, weil sie nicht in direktem Zusammenhang mit einer grundlegenden, globalen Zinswende stehen bzw. allenfalls auf kurzfristig unterschiedlichen Zinsentwicklungen beruhen. 

Sie schreiben weiter, dem Ende der QE-Programme werde eine deutliche Bremse in der Fiskalpolitik folgen. Damit werde die Modern Monetary Theory beendet, bevor sie richtig griff. Erstere Einschätzung teile ich in der Tendenz, denn Geld- und Fiskalpolitik müssen ohnehin ungefähr in die gleiche Richtung laufen, damit sie die gewünschten Wirkungen zeigen. Es war absehbar, dass die Gelddruck-Orgie in diesem Ausmaß mal beendet werden muss (wenn auch vermutlich nur bis zur nächsten Krise). Genauso absehbar war, dass die staatliche Neuverschuldung nicht ewig auf dem Corona-Krisen-Niveau bleiben kann (auch hier vermutlich nur bis zur nächsten Krise).

Was die MMT anbelangt, teile ich Ihre Einschätzung nicht. Sie mag politisch zwar vorübergehend einen Dämpfer erleiden, endgültig beendet ist die MMT damit aber nicht. Zu verlockend sind ihre Reize für die Politik. Denken Sie nur an die langfristig immensen Ausgaben für die Klimawandelbekämpfung oder an künftige Finanzierungserfordernisse für die Sozialsysteme, um nur zwei Beispiele zu nennen. Das heißt, früher oder später wird die MMT vermutlich wieder aus der Schublade geholt, sollte sie zwischendurch darin verschwinden.

 

Zum Schluss erwähnen sie den Sonderweg der EZB. Müssten Sie nicht auch den Sonderweg der japanischen Zentralbank nennen? Damit wären schon zwei der weltweit führenden Notenbanken auf diesem Weg. Kann man dies dann noch als Sonderweg bezeichnen? Oder ist es eher ein Weg, der vom wirtschaftlichen Gewicht her nahezu gleichbedeutend ist mit dem Weg der beiden angelsächsischen Notenbanken? 

Ich grüße Sie herzlich und wünsche Ihnen schöne Weihnachtstage und einen guten Start ins neue Jahr.

Ihr

Raimund Brichta

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